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Oft werden den Arbeitnehmenden variable Gehaltsbestandteile ausbezahlt, häufig abhängig vom «Geschäftsgang». Erwirbt der Arbeitnehmende einen Rechtsanspruch auf diese variablen Gehaltsbestandteile? Muss bei Austritt während des Jahres ein pro-rata-Anteil ausbezahlt werden? Antworten auf diese und weitere Fragen erhalten Sie im vorliegenden Artikel.
Die Vereinbarung einer zusätzlichen Sonderzahlung über den Monats- oder Jahreslohn hinaus kommt in der Praxis relativ häufig vor. Die Benennung dieser Sonderzahlung ist ganz unterschiedlich: Gratifikation, Bonus, Incentive, Gewinnbeteiligung, Prämie, Sonderzulage etc. Im Obligationenrecht werden die Gratifikation sowie die Gewinn- oder Umsatzbeteiligung genannt und definiert. Die weiteren Begriffe findet man nicht im Gesetz und es fehlt damit an einer gesetzlichen Umschreibung. Dies führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, was dazu führt, dass oft darüber gestritten wird - vor allem bei Austritt eines Mitarbeitenden. Die nachfolgenden Ausführungen sollen einen Überblick über das Thema geben und die Wichtigkeit der klaren Regelung im Arbeitsvertrag hervorheben. Eine korrekt formulierte Bestimmung und die richtige Handhabung im betrieblichen Alltag kann so manchen Rechtsstreit verhindern.
1. Was ist eine Gratifikation?
Die Gratifikation ist eine freiwillige Sondervergütung des Arbeitgebers zur Belohnung der Arbeitnehmenden. Sie wird zusätzlich neben dem Lohn aus bestimmtem Anlass ausgerichtet. Ein Anspruch auf Auszahlung haben Arbeitnehmende nur, wenn dies vertraglich vereinbart wurde, dasselbe gilt bei einem unterjährigen Austritt. Der Arbeitgeber hat damit bei der Gratifikation einen grossen Ermessensspielraum, ob und in welcher Höhe er eine Gratifikation ausrichten möchte. Eine Auszahlung ist grundsätzlich freiwillig.
2. Ist der 13. Monatslohn eine Gratifikation?
Beim 13. Monatslohn handelt es sich eben gerade nicht um eine freiwillige Gratifikation, obwohl diese umgangssprachlich oft als «Gratifikation» bezeichnet wird. Der Anspruch sowie der Umfang (ein Monatslohn) wird vertraglich vereinbart. Es handelt sich um einen festen Lohnbestandteil, auf den ein Anspruch besteht. Bei Austritt während des Jahres hat der Arbeitnehmende somit Anspruch auf eine anteilige Ausrichtung (pro rata temporis).
3. Wann ist die Auszahlung einer Gratifikation nicht mehr freiwillig?
Arbeitnehmende haben einen Anspruch auf Auszahlung einer Gratifikation, wenn diese vertraglich vereinbart wurde. Allenfalls hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Höhe der Auszahlung selber zu bestimmen. Die Juristen sprechen in diesem Fall von einer unechten Gratifikation. Nach einer langjährigen, regelmässigen und vorbehaltslosen Bezahlung ist die Auszahlung der Gratifikation allerdings nicht mehr freiwillig. Aus diesem Grunde ist die Bezeichnung in der Lohnabrechnung als «freiwillige Sondervergütung» wichtig.
4. Was sind die Folgen, wenn eine Gratifikation nicht mehr als freiwillige Sondervergütung betrachtet wird?
Ist die Sondervergütung nicht mehr freiwillig, handelt es sich um einen Lohnbestandteil. Arbeitnehmende haben einen klagbaren Anspruch auf Auszahlung während dem Arbeitsverhältnis und ihnen steht ein pro rata Anspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu.
5. Was ist in der betrieblichen Praxis bezüglich der Auszahlung einer freiwilligen Gratifikation zu beachten?
Eine regelmässige, ununterbrochene und vorbehaltslose Ausrichtung kann als Zusicherung der Arbeitgeberin gedeutet werden, dass die Gratifikation auch in Zukunft ausgerichtet wird. Aus der an sich freiwilligen Leistung wird ein Lohnbestandteil. Im Arbeitsvertrag ist deshalb ein ausdrücklicher Freiwilligkeitsvorbehalt anzubringen. Empfehlenswert ist es ausserdem, zusätzlich bei jeder Auszahlung einen entsprechenden Hinweis in der Lohnabrechnung zu vermerken. Wie erwähnt, könnte die Zahlung beispielsweise als «freiwillige Sondervergütung» bezeichnet werden.
6. Müssen alle Arbeitnehmer bei der Auszahlung einer Gratifikation gleichbehandelt werden?
Wird der Anspruch auf eine Gratifikation vertraglich verabredet, geht die Vertragsfreiheit vor. Es sind nicht alle Arbeitnehmer gleich zu behandeln und es können einzelne Mitarbeitende oder Gruppen von Mitarbeitenden begünstigt werden (zum Beispiel Kadermitarbeitende). Das Prinzip der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht verbietet jedoch die Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber der Mehrheit aus willkürlichen oder unsachlichen Gründen. Soll ein einzelner Arbeitnehmer damit schlechter als alle anderen behandelt werden, braucht es hierfür einen guten Grund.
7. Was ist ein Bonus?
Das Gesetz definiert den Bonus nicht. Der Begriff «Bonus» wird in der Praxis uneinheitlich verwendet. Aufgrund dieser fehlenden gesetzlichen Definition muss im Einzelfall geprüft werden, ob es sich um eine (freiwillige) Gratifikation oder um einen (variablen) Lohnbestandteil handelt. Auf die Bezeichnung «Bonus» sollte verzichtet werden, um Missverständnisse zu vermeiden.
8. Wann wird der Bonus als Lohnbestandteil behandelt?
Um einen Lohnbestandteil handelt es sich, wenn die Höhe des Bonus im Voraus festgelegt ist und dem Arbeitgeber bei der Festlegung kein Ermessen zukommt. Zu beachten ist, dass die Höhe des Bonus nicht zwingend betragsmässig bestimmt sein muss. Es reicht, wenn die Höhe durch ein Bonussystem bestimmt wird, welches sich an objektiven Kriterien bemisst. Der Arbeitgeber kann damit keinen Einfluss auf die Höhe der Bonuszahlung nehmen.
9. In welchen Fällen ist davon auszugehen, dass der Bonus nach subjektiven Kriterien ausgerichtet wird?
Die vertragliche Ausgestaltung und korrekte Umsetzung in der Praxis ist zentral: Wird der Anspruch auf einen Bonus zusätzlich noch von dem Erreichen von persönlichen Leistungszielen (subjektive Kriterien) abhängig gemacht, deren Beurteilung im Ermessen des Arbeitgebers liegt, ist von einer Gratifikation auszugehen. Eine individuelle Leistungsbeurteilung im Bonussystem weist damit darauf hin, dass es sich grundsätzlich um eine Gratifikation handelt und die Höhe der Auszahlung im Ermessen des Arbeitgebers steht.
10. Wieso ist die Unterscheidung zwischen Gratifikation und Lohn so wichtig?
Bei der Ausarbeitung der Arbeitsverträge ist wichtig zu wissen, ob die Parteien von einer Gratifikation oder von variablem Lohn ausgehen:
Bei variablem Lohn (siehe auch Art. 322 OR) ist die Arbeitgeberin nicht frei in der vertraglichen Ausgestaltung von Bedingungen. Der Anspruch darf beispielsweise nicht davon abhängig gemacht werden, dass sich die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt der Auszahlung in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet. Auch sind Kürzungsklauseln, z.B. für den Fall von Krankheit, nicht zulässig.
Bei der Gratifikation (siehe auch Art. 322d OR) handelt es sich um eine ausserordentliche Zulage, welche zum Lohn hinzutritt und bei bestimmten Anlässen ausgerichtet wird. Bei einer Gratifikation sind Auszahlungsvorbehalte zulässig. Die Arbeitgeberin hat die Wahl, ob sie die freiwillige Vergütung leisten will oder nicht. Im Arbeitsvertrag oder Bonusreglement können die Voraussetzungen für die Ausrichtung festgelegt werden (sogenannte «Verfallsklauseln»). Oft wird festgelegt, dass ein Anspruch nur dann besteht, wenn der Arbeitnehmende per Jahresende noch im Unternehmen arbeitet oder gar in ungekündigtem Arbeitsverhältnis steht.
11. Welches Kriterium ist bei der Unterscheidung zwischen Gratifikation und Lohn zusätzlich zu beachten?
Das Bundesgericht hat für die Beurteilung, ob es sich um eine freiwillige Gratifikation handelt, noch ein weiteres Kriterium der Akzessorietät (im juristischen Sprachgebrauch: «Angelehntheit») entwickelt. Diese Regel besagt, dass ein Bonus immer nur dann als freiwillige Gratifikation gelten kann, wenn er im Verhältnis zum Lohn als akzessorisch erscheint. Die freiwillige Gratifikation darf für den Arbeitnehmenden mit anderen Worten nur eine zweitrangige Bedeutung haben.
Insbesondere bei tiefen Einkommen kann daher auch ein an sich geringer Bonus als Lohn umgedeutet werden. Leider bestehen keine konkreten Zahlen, ab wann eine Gratifikation im Verhältnis zum Lohn nicht mehr akzessorisch bleibt. Als zulässige Gratifikation akzeptierte das Bundesgericht Sondervergütungen von bis zu 25 Prozent eines jeweils über 100'000 Franken liegenden Jahresgehalts.
12. Was ist der Unterschied zwischen einem Bonus und einer Gewinn- oder Umsatzbeteiligung?
Im Unterschied zum Bonus handelt es sich bei einer Gewinn- oder Umsatzbeteiligung um eine gesetzlich definierte Sonderzahlung (siehe Art. 322a OR) zum «Anteil am Geschäftsergebnis», welche Lohn darstellt. Die Umsatzbeteiligung ist in der Handhabung einfacher als die Gewinnbeteiligung, in der Regel jedoch weniger sinnvoll, da die Arbeitgeberin in der Praxis vermutungsweise eher an Gewinn und nicht am Umsatz interessiert ist. Beiden Varianten gemeinsam ist, dass im Arbeitsvertrag die Parameter zur Berechnung der Beteiligung klar umschrieben werden sollten. So lassen sich Streitigkeiten vermeiden. Wichtig zu wissen für die Arbeitgeberin ist zudem, dass dem Arbeitnehmer Kontrollrechte zustehen, um die Richtigkeit der Beteiligungsabrechnung nachprüfen zu können.
Fazit
In der Praxis werden verschiedene Bezeichnungen für die variablen Gehaltsformen verwendet. Oft wird in der Praxis weder im Arbeitsvertrag noch in einem Reglement klar und eindeutig definiert, ob es sich bei einem Bonus um einen Lohnbestandteil oder um eine freiwillige Sondervergütung handelt. Daher gibt es sehr viele Gerichtsurteile zu diesem Thema. So sehen gewisse Formulierungen beispielsweise einen «Zielbonus» vor, welcher vom «Geschäftsgewinn» und einer nicht näher umschriebenen «guten Leistung» abhängt. Die rechtliche Einordnung solcher Mischformen ist äusserst schwierig.
Es empfiehlt sich, die variablen Gehaltsformen im Arbeitsvertrag und/oder einem Reglement klar zu definieren. Wichtig ist auch die klare Umschreibung der Details (Zieldefinition, Bedingungen etc.) um Meinungsverschiedenheiten und allfällige rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.