«AHV 21» - Fluch oder Segen?

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Die Reform AHV 21 ist ein weiterer Versuch, das Sozialwerk der ersten Säule zu sichern, aber auch zu modernisieren. Was bedeutet ein «Ja» für Unternehmen, Erwerbstätige und die Gesellschaft?

Am 25. September 2022 stimmen wir über die Reform AHV 21 ab. Solche Reformen haben es in der Schweiz nicht einfach an der Urne. Warum eigentlich? Weil Errungenschaften wie ein längeres und selbstbestimmteres Leben einen Preis haben. Diskussionen darüber, wer diesen Preis bezahlen soll, sind kontrovers. Dieser Artikel soll aufzeigen, wer was davon hat, wenn die AHV 21 kommt.

 

Warum eine Reform?

Die AHV wird im Umlageverfahren finanziert. Vereinfacht ausgedrückt: Die AHV nimmt Geld ein und verwendet dieses laufend, um Leistungen an Anspruchsberechtigte auszuzahlen. Über die Jahrzehnte kam es immer wieder vor, dass die AHV jährlich mehr Geld ausgibt, als sie einnimmt. Das nennt man «negatives Umlageergebnis». Ein solches wird aufgefangen über den Ausgleichsfonds. Passiert dies zu oft und in hohem Mass, leert sich der Topf allmählich.

Uneinig ist man sich darüber, wie lange es dauert, bis der Topf leer ist bzw. die rechtlichen Ansprüche nicht mehr gedeckt werden können. Dies lässt sich nicht genau bestimmen, weil dies von Faktoren abhängt, die in der Zukunft liegen - die Entwicklung der Bevölkerung, der Löhne, der Lebenserwartung, der Wirtschaft. Die Reform AHV 21 soll die Renten für circa die nächsten zehn Jahre sichern.

Ein weiteres Ziel ist jedoch auch, den Übergang ins Rentnerdasein freier zu gestalten. Während in der beruflichen Vorsorge bereits viele Möglichkeiten bestehen, früher, später oder schrittweise in Rente zu gehen, ist die AHV noch verhältnismässig starr.

 

Die wichtigsten Fakten zur Reform

Wenn man einen Fonds finanziell sanieren will, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Die Einnahmen erhöhen oder die Ausgaben senken. Die Reform AHV 21 kombiniert beides, gleicht aus und setzt neue Anreize.

  • Referenzalter
    Statt einem ordentlichen Rentenalter gibt es neu ein Referenzalter. Wie bisher liegt dieses bei 65 Jahren, neu auch für Frauen. Somit würden Männer und Frauen gleich viele Jahre Beiträge leisten, bevor sie eine Altersrente beziehen können. Die Angleichung des Frauenrentenalters bringt mehr Einnahmen durch die längere Beitragszahlung und weniger Ausgaben durch die spätere Pensionierung. Da es für neun Jahrgänge Übergangsleistungen gibt, greift der Effekt erst im Verlauf der nächsten Jahre.
     
  • Flexible Pensionierung für alle
    Der Rentenbezug kann flexibel erfolgen im Alter ab 63 bis spätestens 70 Jahre. In dieser Zeit kann je nach Wunsch und Möglichkeit eine ganze oder stufenweise Teilrente bezogen werden. Dies ermöglicht einen fliessenden Übergang vom Erwerbsleben ins Rentnerdasein. Zudem wird die frühere Pensionierung attraktiver, da die Rentenkürzungen gemildert werden. Im Gegenzug fällt auch der Zuschlag für den Rentenaufschub etwas tiefer aus. Per Saldo dürften die Ausgaben für vorzeitige Pensionierungen steigen.
     
  • Längeres Arbeiten mit Zusatznutzen
    Das Arbeiten über das Referenzalter hinaus wird attraktiver. Bei der Beitragszahlung gibt es ein Wahlrecht und die bezahlten Beiträge dienen grundsätzlich der Erhöhung der eigenen Rente. Je nach Nutzung dieser Möglichkeiten durch die Erwerbstätigen können sowohl Mehrein- als auch Mehrausgaben resultieren für die AHV.
     
  • Schnellere Entschädigung für Hilflosigkeit
    Wer aufgrund körperlicher Einschränkungen auf Hilfe angewiesen ist, kann je nach Grad der Hilflosigkeit Entschädigungen beantragen. Dafür muss die Hilflosigkeit heute mindestens ein Jahr bestehen und nachgewiesen werden. Diese Frist wird auf sechs Monate reduziert, was Mehrausgaben verursacht.
     
  • Zusatzfinanzierung
    All diese Massnahmen bringen per Saldo eine Verbesserung des Umlageergebnisses - jedoch nicht genug, um die höchsten Jahresverluste der letzten Jahre zu decken. Die Erhöhung des MWST-Satzes zu Gunsten der AHV bringt deshalb zusätzliche Einnahmen.
     

Achtung bei der Abstimmung: nein + ja = nein
Die Reform AHV 21 und die Erhöhung der MWST sind zwei verschiedene Vorlagen, über die separat abgestimmt wird. Deren Annahmen sind jedoch voneinander abhängig. Das bedeutet: Nur wenn beide Vorlagen angenommen werden, können sie auch umgesetzt werden. Wird eine der beiden Vorlagen abgelehnt, kann auch die andere nicht in Kraft treten.


In den nachfolgenden Abschnitten werden die Auswirkungen auf die Unternehmen, die Erwerbstätigen und die Gesellschaft beleuchtet.

 

Auswirkungen für Unternehmen

Seit Jahren klagen Unternehmen, dass sie nicht mehr genügend Personal finden. Das Arbeiten über das Referenzalter hinaus ist eine mögliche Lösung. Jedoch ist das heute beschränkt attraktiv, weil Rentnerinnen und Rentner, die über das Pensionsalter hinaus arbeiten, je nach Lohnhöhe zwar noch Beiträge in die AHV zahlen müssen, jedoch selbst nichts mehr davon haben. Die Reform setzt Anreize für längeres Arbeiten. Zudem setzt die Angleichung des Frauenrentenalters zusätzliche Arbeitskräfte frei.
 

Tipp
Die Reform bringt für die Mitarbeitenden neue Möglichkeiten. Das bietet eine gute Gelegenheit, als fürsorglicher Arbeitgebender aufzutreten. Bieten Sie Ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich zu informieren - beispielsweise an einem internen Informationsevent. In Kombination allenfalls mit einem geselligen Teil resultiert ein nachhaltiger Benefit für alle Beteiligten. Nutzen Sie unsere Erfahrung, wir unterstützen Sie gerne, z.B. mit einem Referat oder Workshop. Bei Interesse freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme und halten Sie unverbindlich auf dem Laufenden.
 

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Auswirkungen für Erwerbstätige

Die Angleichung des Frauenrentenalters passiert in Dreimonatsschritten. Das bedeutet, nach Inkrafttreten der Reform wird das Referenzalter pro Jahr um drei Monate erhöht. Nach vier Jahren ist es dem Referenzalter der Männer gleichgestellt. Zudem gibt es eine Übergangsgeneration von neun Jahrgängen, die von Ausgleichsmassnahmen profitiert. Frauen, die bis zum neuen Referenzalter erwerbstätig sind, erhalten einen lebenslangen Rentenzuschlag. Dieser fällt für tiefere Einkommen höher aus als für höhere. Wer nicht so lange arbeiten möchte, kann sich bis zu drei Jahre früher pensionieren lassen und profitiert von einer tieferen Rentenkürzung.

Die Übergangsregelungen und die längere Arbeitszeit bringen für erwerbstätige Frauen Optimierungsmöglichkeiten. Aber auch Männer haben mit den neuen flexiblen Bestimmungen mehr Möglichkeiten, ihre Pensionierung individueller zu gestalten und zusammen mit der beruflichen Vorsorge finanziell wie steuerlich zu optimieren. Das gilt insbesondere für Erwerbstätige, die die Möglichkeiten der Altersvorsorge nicht seit Eintritt ins Erwerbsleben optimal ausschöpfen konnten.
 

Tipp
Die Reform bringt bei Annahme viele Änderungen und ist eine gute Gelegenheit, sich grundsätzlich mit der Altersvorsorge auseinanderzusetzen. Sich über die neuen Gegebenheiten und damit verbundenen Chancen zu informieren, ist eine gute Investition. Wir unterstützen Sie gerne dabei - in einer Einzelberatung oder über kostengünstige Informationsanlässe oder Webinare. Bei Interesse freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme und halten Sie unverbindlich auf dem Laufenden.
 

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Auswirkungen für die Gesellschaft

Die AHV bildet die Grundversicherung in der Altersvorsorge und stellt die finanzielle Existenz der Bevölkerung sicher. Für das würdige und friedliche Zusammenleben ist das eine wichtige Grundlage. Zusammen mit der beruflichen Vorsorge soll über die pure Existenz hinaus ein gutes Leben möglich sein, was den Konsum von Gütern und Dienstleistungen weiterhin ermöglicht und somit der Wirtschaft und uns allen wieder zugutekommt.

Die Arbeitswelt und ihre Kultur verändern sich rasant. Der Mensch gestaltet sein (Arbeits-)leben zunehmend flexibel im Hinblick darauf, was er tut, wo er es tut und wie lange. Dazu passen flexiblere Regeln für die Gestaltung der Altersvorsorge.

Die Zusatzfinanzierung über die Erhöhung der MWST belastet den Konsum und verteuert nicht die Arbeit, wie das bei einer Erhöhung der AHV-Beiträge der Fall wäre. Die Erhöhung fällt moderat aus und belastet Besserverdienende tendenziell mehr, weil sie mehr konsumieren. Der Normalsatz erfährt eine Erhöhung von 0,4%, während der reduzierte und der Sondersatz für Beherbergung um 0,1% steigen.

Nachfolgend sehen Sie Beispiele der Auswirkung der MWST-Erhöhung auf Alleinstehende und Familien mit Kindern in verschiedenen Einkommensklassen. Im roten Feld ist jeweils die durch die MWST-Erhöhung berechnete Mehrbelastung pro Jahr in Franken angegeben.
 

Beispiel Alleinstehend MWST-Erhöhung   Alleinstehend MWST-Erhöhung
Wohnen  13’740 0.0%    18’312 0.0%
Versicherungen, Steuern  24’108 0.0%    53’820 0.0%
Lebensmittel, Medikamente  4’560 0.1% 5    5’232 0.1% 5
Übrige Lebenshaltung  12’228 0.4% 49    21’060 0.4% 84
Gesundheit  1’044 0.0%   1’668 0.0%
Verkehr  5’532 0.4% 22    9’108 0.4% 36
Freizeit, Hobbies 2’148 0.4% 9    4’344 0.4% 17
Kultur, Sport  1’500 0.0%   2’052 0.0%
Unterstützungsbeiträge  1’848 0.0%   7’680 0.0%
Total Bruttolohn  66’708   85    123’276   142

 

Beispiel Familie MWST-Erhöhung   Familie MWST-Erhöhung
Wohnen 15’000 0.0%   18’060 0.0%
Versicherungen, Steuern 28’368 0.0%   62’088 0.0%
Lebensmittel, Medikamente  9’072 0.1% 9   13’140 0.1% 13
Übrige Lebenshaltung 13’824 0.4% 55   30’264 0.4% 121
Gesundheit  1’620 0.0%   2’760 0.0%
Verkehr  7’536 0.4% 30   13’236 0.4% 53
Freizeit, Hobbies 2’532 0.4% 10   7’008 0.4% 28
Kultur, Sport 1’536 0.0%   4’044 0.0%
Schule und Ausbildung 480 0.0%    1’416 0.0%
Unterstützungsbeiträge 468 0.0%   250 0.0%
Total Bruttolohn 80’436   104    152’266   215

Quelle: BfS Bundesamt für Statistik, Haushaltsausgaben 2015-2017, unter 65 Jahren nach Einkommensklasse

 

Zwei weitere AHV-Vorlagen

Wie sehr das Thema AHV bewegt, zeigen zwei zustande gekommene Initiativen.

Volksinitiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)»
Die Initiative der Jungfreisinnigen verlangt die Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre für Frauen und Männer mit anschliessender Anbindung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Das heisst, wenn die Lebenserwartung steigt, würde sich das Rentenalter automatisch ebenfalls erhöhen. Die Initiative wurde im Juli 2021 eingereicht und vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen.

Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)»
Die Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds verlangt schlicht und einfach eine 13. Rente, was einer Erhöhung der AHV-Rente gleichkommt. Die Initiative wurde im Mai 2021 eingereicht und vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen.

 

Fazit

Die Reform AHV 21 beschränkt sich auf wesentliche Elemente, die den aktuellen Herausforderungen entgegenkommen. Die Kosten werden auf alle Bevölkerungsgruppen verteilt. Wer das Paket befürwortet, muss auch die MWST-Erhöhung annehmen, ansonsten kann die Reform nicht umgesetzt werden. Wir halten Sie auf dem Laufenden und erklären Ihnen bei zwei «Ja» gerne im Detail die «Dos and Don'ts» für eine stressfreie Umsetzung mit Mehrwert.